Kurzkrimis
Töchter des Himmels
Hebammen-Mini-Krimi
Geschrieben für die Diplomfeier der Hebammenschule Bern, April 2007
«Der Anrufer behauptete, auf der Brücke habe er jemanden schreien gehört», sagt Korporal Schmidli zu seinem älteren Kollegen und drückt mit den Fingerspitzen die sommersprossige Stupsnase in Richtung Oberlippe. Wachtmeister Roggen äugt über die Kreuzung zu den roten Metallbogen der Bühlbrücke. Umständlich zündet er sich eine Zigarette an.
«Gehen wir hinüber, vielleicht sehen wir etwas», meint er nach dem ersten Zug. Endlich bekommt der Fussgängerstreifen grün, die beiden Polizisten queren die Murtenstrasse.
«Wann kam die Meldung herein?» will Roggen wissen, während er hinter Schmidli das steile Trottoir hoch schnauft.
«Vor einer halben Stunde. Der Typ wohnt irgendwo im Quartier; er habe früher als Hilfssanitäter in der Insel gearbeitet und kenne sich mit Schreien aus, sagte er. Ein grässlicher Frauenschrei sei es gewesen, mitten auf der Bühlbrücke und das am hellen Tag. Das Blut sei in seinen Adern gestockt. Der hat todsicher übertrieben.»
Die Preisverleihung
Geschrieben für die Preisverleihung des 1. Zürcher Krimipreises, 29. Februar 2009
Freitag, 27. Februar, 2009. Die Frau ist aus dem Berner Oberland angereist; jetzt steht sie hinter einem Baum und beobachtet die erleuchteten Fenster der rot bemalten Baracke. Minuten später öffnet Cornelia Schwendener ihr Fenster eine Handbreit, verlässt das Büro und schliesst die Türe hinter sich. Das Warten hat sich gelohnt! Die Frau holt tief Atem und schiebt sich um den Stamm. Wie wenn er durch Wände sehen könnte, schleicht in diesem Augenblick ein jüngerer schlaksiger Mann mit schwarzer Brille um die Hausecke. Er bückt sich unter den Fenstern durch bis vor Cornelias Büro, späht in den leeren Raum und stösst mit einer raschen Handbewegung den Fensterflügel auf. Schon hängt sein rechtes Bein über dem Fenstersims, da steht die Frau keuchend neben ihm und packt ihn bei den Schultern. Der Kopf des Mannes fährt herum. Ein sekundenlanger Blick, und beide wissen, was der andere vorhat.
In der Frau explodiert die Kraft einer attackierten Tigerin. Sie reisst den Jungmann aus der Balance, er kippt rücklings aus dem Fenster und schlägt mit Schultern und Kopf auf den Boden. Seine Benommenheit nutzend schleift sie ihn ein paar Meter weit unter die Bäume, wo er stöhnend und Gesicht nach unten in einem Schneehaufen liegen bleibt. Wieder bei der Baracke stemmt sich die Frau auf den Fenstersims hoch und steht Sekunden später vor Cornelias Pult.